Stellt die die Einführung eines Immunitätsausweises zum Nachweis der Immunität aufgrund der einer bereits überstandenen Sars-Cov 2- Infektion oder ggf. Impfung eine unverhältnismäßige Verletzung von Grundrechten dar ?
Präambel:
Derzeit wird insbesondere im Zusammenhang mit der Einführung der Corona-Warn-App der Bundesregierung diskutiert, ob die Einführung eines Immunitätsausweises ein geeignetes Mittel darstellt, das Infektionsgeschehen und die unkontrollierte Ausbreitung der Sars-Cov 2 Viren zu überwachen. Bereits Anfang Mai war in einem Gesetzesentwurf im Bundestag bereits die Einführung eines Immunitätsausweises beraten worden. Nach den Vorstellungen von Bundesgesundheitsminister Spahn sollte jeder der eine Corona Infektion überstanden hat einen sog. Immunitätsausweis erhalten und damit möglicherweise früher wieder am beruflichen oder gesellschaftlichen Leben teilhaben können.
Nach heftiger Kritik, unter anderem von der Deutschen Stiftung Patientenschutz, die den Immunitätsausweis als „zutiefst diskriminierend“ bezeichnet, ging Bundesgesundheitsminister Spahn wieder auf Abstand zu der geplanten Einführung. Nunmehr soll der deutsche Ethikrat eine Stellungnahme dazu abgeben, ob die Einführung eines Immunitätsausweises sinnvoll ist.
Das nachfolgende Kurzgutachten nimmt ebenfalls zu dieser Frage Stellung, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Vornehmliches Ziel ist ein gesellschaftlicher Diskurs und eine Meinungsbildung bei den betroffenen Bürgern. Anregungen und Ergänzungen sind ausdrücklich erwünscht.
Im Ergebnis stellt das Kurzgutachten eine unverhältnismäßige Verletzung der Art. 1, 2 und 3 Grundgesetz fest. Demnach verstößt der geplante Immunitätsausweis gegen grundgesetzlich garantierte Freiheiten.
I. Eingriff in den Schutzbereich verschiedener Grundrechte- Prüfungsschema
Art. 1 GG – Würde des Menschen ist unantastbar
Eröffnung des Schutzbereiches:
– Jedermann, Begriff der Menschenwürde nicht abschließend definiert,
BVerfG: Jegliche Form eines rechtlich abgewerteten Status oder einer demütigenden Ungleichbehandlung ist mit der Menschenwürdegarantie nicht vereinbar
Eingriff in den Schutzbereich:
– wenn dem Betroffenen in menschenverachtender Weise seine Menschqualität abgesprochen und er zum Objekt eines beliebigen Verhaltens erniedrigt wird
Schranke/Rechtfertigung:
– mit keinem anderen Einzelgrundrecht abwägungsfähig
Verletzung von Artikel 1 Abs.1 GG liegt vor, wenn die Behandlung eines Menschen durch die öffentliche Gewalt die Achtung des Wertes vermissen lässt, die einem jeden Menschen um seiner selbst willen zukommt, jegliche Form eines rechtlich abgewerteten Status oder einer demütigenden Ungleichbehandlung ist daher mit der Menschenwürdegarantie nicht vereinbar (BVerfGE 144, BVerfGE Jahr 144 Seite 20 (208); Der Schutzbereich erstreckt sich damit nach allgemeiner Auffassung auf Erniedrigungen, Diskriminierungen und anderweitige rufschädigende Behauptungen.
Art. 2 GG – Allgemeine Handlungsfreiheit
Körperliche Bewegungsfreiheit der Person, könnte dadurch betroffen sein, dass Menschen ohne Immunitätsausweis erheblich eingeschränkt werden, durch bspw. das Verbot das Haus zu verlassen oder öffentliche Einrichtungen zu nutzen
Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG
– Persönlicher Schutzbereich: Jedermann
– Sachlicher Schutzbereich: sehr weit auszulegen, Eingriff durch jedes den Rechtsträger belastendes staatliches Handeln (sowohl Gebote, als auch Verbote), das dem Betroffenen ein Verhalten, welches in den Schutzbereich eines GG fällt, erheblich erschwert oder unmöglich macht Erheblichkeitsschwelle
– Rechtfertigung: verfassungsimmanenter Schrankenvorbehalt, Art. 2 II Hs. 2 GG
Sog. Schrankentrias: Verletzung der Rechte anderer, Verstöße gegen die verfassungsgemäße Ordnung, Verstöße gegen das Sittengesetz
– Schranken-Schranke: Art. 19 II GG das Grundrecht darf durch einen an sich gerechtfertigten Eingriff nicht in seinem Wesensgehalt angetastet werden, insbesondere die Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs
Art. 3 GG – Gleichheitsgrundsatz
Ein Gleichheitsrecht ist dann verletzt, wenn eine relevante Ungleichbehandlung vorliegt und diese Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist
1. Feststellung einer relevanten Ungleichbehandlung: Wird wesentlich Gleiches ungleich i.S.v. Vergleichbarkeit behandelt?
– Oberbegriff: Mensch
– Unterscheidungsmerkmal: Immunität oder Impfung gegen Covid-19
2. Feststellung, ob diese Behandlung verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist
– hängt von Intensität der Ungleichbehandlung, Ungleichbehandlung höherer Intensität wird bei personenbezogenen und nicht bloß sachbezogenen Ungleichbehandlungen angenommen, der rechtfertigende Grund muss in einem angemessenen Verhältnis zur Ungleichbehandlung stehen, es ist also eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der Ungleichbehandlung vorzunehmen:
a) Erstens muss das Differenzierungsziel als solches verfassungsrechtlich zulässig sein.
b) Zweitens muss das Differenzierungskriterium als solches verfassungsrechtlich zulässig sein.
c) Drittens muss das Differenzierungskriterium im Hinblick auf das Differenzierungsziel verhältnismäßig, also geeignet, erforderlich und angemessen sein.
aa) Geeignetheit: Die Ungleichbehandlung muss zur Erreichung des verfolgten Ziels förderlich sein.
bb) Erforderlichkeit: Es darf kein milderes Mittel als die Ungleichbehandlung geben, mit dem sich das Ziel ebenso effektiv erreichen ließe.
cc) Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i.e.S): Die Bedeutung des Ziels der Ungleichbehandlung ist der Intensität der Ungleichbehandlung gegenüber zu stellen. Die Ungleichbehandlung muss in einem angemessenen Verhältnis zum Wert des verfolgten Ziels stehen.
II. Prüfung des Eingriffs in Grundrechte- Zwischenergebnis:
Die Einführung des Immunitätsausweises stellt einen Eingriff in die Grundrechte aus Art. 1, 2 und 3 GG dar.
Die Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft ist hochwahrscheinlich, sodass sich die Tür für eine legale Diskriminierung öffnet.
Laut Gesundheitsminister Spahn sollen durch die Einführung und die Angaben der Infektion keine staatlichen Maßnahmen, sei es ein Verbot oder Privilegierungen einhergehen. Faktisch muss jedoch davon ausgegangen werden, dass dies der Fall sein wird.
Der Immunitätsausweis könnte hier eine massive Waffe darstellen, um das soziale öffentliche Leben aus dem Gleichgewicht zu bringen. Zumal sich durch den Immunitätsausweis auch die Bürger untereinander auch ohne staatliche Maßnahmen diskriminieren können. Dem Staat trifft jedoch nach dem Grundgesetzt gerade auch die Pflicht, die Bürger untereinander und insbesondere im Verhältnis zueinander zu schützen.
Darüber hinaus könnten nach Erfassung der Infektion noch weitere Maßnahmen folgen, wie bspw. Ausgangssperren für diejenigen, die sich bisher nicht infiziert haben. Auch hier könnten faktische Verbote zum Tragen kommen, sollten Unternehmer – ohne gesetzlichen Rahmen – dennoch Einschränkungen gegenüber Mitarbeitern oder Verbrauchern festlegen.
Dies stellt unproblematisch einen Eingriff in Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG, welcher lediglich anhand der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt werden kann. Eine Verhältnismäßigkeit ist jedoch nicht erkennbar und auch nur schwer vorstellbar.
Auch der Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 GG ist durch die Erteilung eines Immunitätsgrundsatzes tangiert. Die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem unterliegt bei personenbezogenen Kriterien – dies ist hier zu bejahen – der Verhältnismäßigkeitsprüfung.
Letztendlich ist die Verfassungsmäßigkeit des Immunitätsnachweises somit eine Frage der Verhältnismäßigkeit.
III. Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffes:
1. Geeignetheit
Der Immunitätsausweis muss zur Erreichung des legitim verfolgten Ziels des Infektionsschutzes zumindest geeignet sein.
Die Geeignetheit eines derartigen Eingriffes ist schwer vorstellbar. Führt das Vorhandensein eines Immunitätsausweises zu mittelbaren oder unmittelbaren Privilegierungen könnte dies dazu führen, dass sich die Mehrheit der Gesellschaft mit dem Virus anstecken möchte, um gerade diese Vorteile zu erhalten. Dies würde gerade zum gegenteiligen Ergebnis des eigentlichen Zwecks des Immunitätsausweises führen: Eine wirkliche Gefährlichkeit des Virus unterstellt könnte gerade dadurch die Ansteckungsrate wieder ansteigen, das Gesundheitssystem der Gefahr des möglichen Zusammenbruchs gegenüberstehen und die Gesellschaft sich damit wieder am Anfang des Pandemiezustandes wiederfinden.
2. Erforderlichkeit
Des Weiteren muss die Maßnahme erforderlich sein, also das mildeste Mittel darstellen, wodurch das Ziel jedoch ebenso effektiv erreicht werden kann.
Auch hier stellt sich die Frage: Ist eine Immunitätsausweis das mildeste Mittel? Für diejenigen, denen der Immunitätsausweis Vorteile verschafft vielleicht, aber demgegenüber steht ein – nicht nur unerheblicher – Teil der Bevölkerung, der dafür letztlich „bestraft“ werden soll, sich nicht infiziert zu haben.
Des Weiteren sind die Infektionszahlen bereits derart gesunken, dass nach Ansicht der Verfasser im Vergleich die allgemeine Beachtung der Hygienestandards und bei wieder ansteigenden Infektionszahlen auch Abstandsgebote oder Maskengebot immer noch mildere Mittel darstellen, um das gleiche Ziel – eine möglichst weitegehende Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens – zu erreichen.
Darüber hinaus liegen noch nicht einmal belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse vor, dass eine überstandene Infektion eine anhaltende Immunität zur Folge hat.
Identisches gilt für einen unter Hochdruck entwickelten Impfstoff, bei dem zudem gegebenenfalls erhebliche Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen werden können.
Auch die Gefahr von fehlerhaften positiven Coronatests (Fehlerquote bei ca. 1,4 %) kann zu völlig unbrauchbaren Immunitätsausweisen führen.
3. Angemessenheit
Zudem muss die Bedeutung des Ziels gegenüber der Intensität des Eingriffs angemessen sein. Auch die Angemessenheit des Eingriffes ist hier auf Grund der bereits oben genannten Gründe nicht gegeben.
Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der derzeitigen Infektionsrate, welche, angenommen die angegeben Zahlen seien in irgendeiner Weise repräsentativ bezüglich der tatsächlichen Lage, nicht (ansatzweise) verhältnismäßig ist. Eine Vielzahl von Landkreisen ist mittlerweile völlig „coronafrei“ (Stand 11.06.20). Die Zahl von aktuell nachgewiesenen Infektionen in der Bevölkerung liegt derzeit bei unter 10000 bei ca. 83 Mio Einwohnern.
IV. ERGEBNIS:
Der Immunitätsausweis soll nach dem Willen des Bundesgesundheitsministeriums insbesondere vornehmlich dafür eingesetzt werden, bereits genese oder geimpfte Menschen Vorteile gegenüber denjenigen einzuräumen, die entweder noch nicht mit Covid19 infiziert waren oder eine Impfung aus persönlichen Gründen verweigern. Unter dieser Prämisse wird der Immunitätsausweis die Spaltung der Gesellschaft und eine damit einhergehende Diskriminierung bestimmter Gruppen fördern und letztlich legalisieren. Die Gruppe, die keinen Immunitätsausweis besitzt, wird als „minderwertig“ angesehen. Eine Ausschließung einzelner Gruppen aus dem gesellschaftlichen öffentlichen Leben ist hochwahrscheinlich.
Demnach verletzt der Immunitätsausweis die Grundrechte der Würde des Menschen (Art. 1 GG), die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 GG) und der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) in unverhältnismäßiger Weise. Eine Einführung ist daher abzulehnen.