UPDATE vom 08.08.22:

Aufgrund einer Vielzahl von Anfragen und breiter Berichterstattung zu dem Urteil dürfen wir auf Folgendes hinweisen:

Das Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichtes bezieht sich ausschließlich auf den Tatbestand des § 279 StGB und nicht auf die §§ 277, 278 StGB, siehe Urteilsgründe Seite 3, unter II.

„Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft kommt es deshalb im Rahmen des § 279 StGB – anders als bei §§ 277 und 278 StGB – nicht darauf an, ob vor der Ausstellung des Attestes auch eine körperliche Untersuchung der Angeklagten stattgefunden hat. Festzustellen ist demnach die Unwahrheit der Aussage über den Gesundheitszustand als solchen.“

Das Urteil dürfte daher vornehmlich, ggf. sogar ausschließlich für Verfahren gegen Patienten Anwendung finden und nicht gegen Ärzte, die die Atteste ausgestellt haben. Das Urteil stellen wir in anonymisierter Form hier zum Download zur Verfügung: Urteil vom 180722- Az 203 StRR 179-22 (anonymisiert)

 

Ursprüngliche Pressemitteilung vom 03.08.22:

Angeklagte Patientin wird auch in 3. Instanz freigesprochen

Das Bayerische Oberstes Landesgericht hat mit Urteil vom 18. Juli 2022 (Az. 203 StRR 179/22) einen wesentlichen Beitrag zur Aufarbeitung der Coronakrise in strafrechtlicher Hinsicht geleistet. Die von Rechtsanwalt Bögelein vertretene Angeklagte wurde in allen drei Instanzen vom Verdacht des Gebrauch eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses vor dem Amtsgericht Neumarkt, dem Landgericht Nürnberg und dem Bayerischen Obersten Landesgericht freigesprochen. Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt die Staatskasse.

Das von der Angeklagten im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle vorgelegte Attest enthält nach den Urteilsgründen keine unwahre Aussage über den Gesundheitszustand der Angeklagten. Dies gilt unabhängig davon, ob das Attest telefonisch oder per E-Mail angefordert wurde, also ohne vorherige körperliche Untersuchung durch den Arzt.

Nach den Urteilsgründen kommt es aus Sicht der Angeklagten für die Richtigkeit eines Maskenbefreiungsattestes ausschließlich darauf an, ob die geschilderten Symptome tatsächlich vorliegen. Dies wurde vorliegend von einem weiteren Arzt attestiert. Entgegen den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft ist aber ein Attest im Rahmen des § 279 StGB  nicht bereits dann unrichtig, wenn vorher keine körperliche Untersuchung des Patienten stattgefunden hat.

Darüber hinaus stellen die Urteilsgründe mit bemerkenswerter Klarheit fest, dass das Berufungsgericht einen Beweisantrag der Generalstaatsanwaltschaft zur amtsärztlichen Untersuchung zu Recht nicht nachgegangen ist.

Eine solche Untersuchung ist nach Ansicht des höchsten bayerischen Strafgerichtes von vornherein nicht geeignet, den Gesundheitszustand der Angeklagten rückwirkend zum Tatzeitpunkt sicher festzustellen und daraus den Schluss zu ziehen, dass die Angeklagte die von ihr vorgetragenen Beschwerden damals tatsächlich nicht hatte.

„Bereits die Unterlassung einer vorherigen körperlichen Untersuchung wurde in einer Vielzahl von Verfahren seitens der vertretenden Staatsanwaltschaften als strafbare Handlung gewertet.

Dieser Rechtsansicht hat das höchste bayerische Strafgericht jedoch mit aller Deutlichkeit widersprochen, was angesichts der Möglichkeit zur telefonischen Krankschreibung für den Arbeitgeber auch nur konsequent ist. Das Urteil dürfte enorme Auswirkungen für die noch offenen mindestens 500 Verfahren vor den bayerischen Gerichten haben.

Das Urteil stellt meines Erachtens auch einen wichtigen Beitrag zur Wiederherstellung des Vertrauens in die Justiz dar, die sich zuletzt einiger Kritik ausgesetzt sah. Auch das Bundesverfassungsgericht blieb bekanntlich nach seinen jüngsten Beschlüssen mit Bezug zur Corona Krise davon nicht verschont,“ erläutert RA Bögelein.