Im Zweifel für die Freiheit- in dubio pro libertate

Forchheim/ Ansbach 16.08.22. „Das von uns erstrittene Urteil ist eine schwere Niederlage für die Pandemiebekämpfungsstrategie der bayrischen Gesundheitsbehörden. Voreilige Quarantäneanordnungen für ganze Schulklassen, wie sie im Oktober 2020 praktiziert wurden, ohne dass eine konkrete Ermittlung der tatsächlichen Gefahrenlage durch die Gesundheitsämter erfolgte, sind rechtswidrig. Die Infektionsgefahr muss im Einzelfall geprüft werden, ohne Wenn und Aber. Der BayVGH ließ keine Ausreden gelten: 

Unsicherheiten bei der Beurteilung eines Gefahrenverdachtes, welche auf Ermittlungsdefizite der Gesundheitsbehörde zurückzuführen sind, gehen zu deren Lasten. 

Das bedeutet im Klartext: Im Zweifel für die Freiheit und gegen die Quarantäne“, erläutert RA Bögelein das Urteil.

Hintergrund für das Urteil des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes vom 26.07.22 (Az. 20 B 22.29 und 20 B 22.30) war eine Quarantäne-Anordnung für eine ganze Schulklasse aufgrund eines positiv getesteten Schülers im Oktober 2020. Die beiden gesunden Schüler mussten sich ohne konkreten Ansteckungsverdacht in Quarantäne begeben. Ein „Freitesten“ war nicht möglich. Das war zu viel für den Vater der beiden Schüler. Er wendete sich an RA Bögelein, der einen Eilantrag vor dem VG Augsburg einreichte.

Die beiden von RA Bögelein vertretenen Schüler unterlagen aber zunächst sowohl im Eilverfahren als auch im Rahmen der sich anschließenden Fortsetzungsfeststellungsklage in erster Instanz vor dem VG Augsburg. Dies änderte sich mit dem Berufungsurteil des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes: Die Isolationsanordnungen gegen die beiden Schüler wurden für rechtswidrig erklärt.

Das Berufungsurteil des BayVGH enthält darüber hinaus eine Vielzahl weiterer wichtiger Feststellungen, die künftige Infektionsschutzmaßnahmen maßgebend prägen sollten.

  1. Allen voran stellt der BayVGH fest, dass es sich bei einer Isolationsanordnung um einen erheblichen Eingriff in die Freiheitsgrundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S.2 GG handelt (Rn. 42 des Urteils).
  2. Freiheitseinschränkungen in Form von Isolationsanordnungen gegenüber einzelnen Bürgern lassen sich grundsätzlich nicht mit der allgemeinen Inzidenz in der Bevölkerung eines Landkreises begründen (Rn. 76 des Urteils).
  3. Das Fehlen epidemiologischer Erkenntnisse kann jedoch nicht zulasten der Grundrechtsträger gewertet werden. Gleiches gilt für die allgemein bekannte sehr hohe Arbeitsbelastung der Gesundheitsverwaltung (Rn. 76 des Urteils).
  4. Unsicherheiten bei der Beurteilung des Gefahrenverdachtes (hier der Ansteckungsverdacht), welche auf Ermittlungsdefizite der Gesundheitsbehörde zurückzuführen sind, gehen zur deren Lasten (Rn. 79 des Urteils).

Der BayVGH hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Das Urteil dürfte aber bereits jetzt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Vielzahl von Isolationsanordnungen und ggf. auch darüber hinaus grundlegende Bedeutung haben. Das Urteil des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes vom 26.07.22, Az. 20 B 22.29 und 20 B 22.30 wurde veröffentlicht unter BeckRS 2022, 19876.